Einer von 365 Tagen

Am roten Hoftor des Lernorts Kunzenhof springe ich ab von meinem Fahrrad, um aus der Brottonne an der Straße neuen Futtervorrat für die Hühner mit hinauf zu nehmen.

Wenn sich um halb acht die automatische Hühnerstallklappe öffnet, die sie in der Nacht vor dem penetranten Fuchs aus dem nahen Wald beschützt, habe ich unserer kleinen Hühnerfamilie bereits eingeweichtes Brot in ihre Futterschale gelegt.

Ein Tag auf dem Kunzenhof beginnt und endet immer mit dem Versorgen der Tiere.

Und immer wieder kommen Menschen auf den Hof, die Anteil nehmen an unserer täglichen Arbeit.

Heute Vormittag sind es die Allerkleinsten: Vorschulkinder aus einem benachbarten Kindergarten kümmern sich um unsere Tiere.

Über mehrere Wochen besuchen sie uns regelmäßig und erleben den Frühling auf dem Kunzenhof – wie das Gemüse wächst im Garten, wie die Esel das dicke Winterfell verlieren und die Schafe an Christi Himmelfahrt von ihrer warmen Wolle befreit werden.

Große Erlebnisse: Die Zicklein und Lämmer kommen auf die Welt.

Große Erlebnisse: Die Zicklein und Lämmer kommen auf die Welt. Und kleine: Der Stall ist jedes Mal wieder dreckig.

Ich darf diese Kindergruppe leiten und ihnen unsere Tiere ganz nahe bringen. Ich darf sie aufmerksam darauf machen, dass nun rote Kirschen an unserem Baum leuchten oder die Esel, Schafe und Ziegen schon wieder die ganze Rinde von den Haselzweigen abgeknabbert haben.

Wenn wir den Stall sauber gemacht haben, erleben wir die Zufriedenheit der Tiere – und ich die der Kinder darüber, dass wir gemeinsam mit kleinen Händen so viel Sinnvolles schaffen können. Und so wandern sie wieder nach Hause in ihren Kindergartenalltag.

Unserer geht weiter mit Pflegearbeiten. In jeder Ecke muss etwas getan werden, ob nun im Garten ganz klassisch das Unkraut gejätet oder das große Leck des Sees gestopft werden muss – nie mangelt es an wichtigen Tätigkeiten.

Ein Solarkocher, dessen Parabolspiegel die hochgeschätzten Sonnenstrahlen einfängt.

Neben dem geschäftigen Treiben köchelt eine Beerenmarmelade im Solarkocher, dessen Parabolspiegel die hochgeschätzten Sonnenstrahlen einfangen.

Auf dem Äckerchen braucht der Flachs Stock und Faden, damit er bei Gewitter nicht umknickt und die langen Flachsfasern keinen Schaden erleiden, die wir später zu hochwertigem Leinengarn verarbeiten wollen.

Die Liste ist lang an wichtigen Aufgaben, und wir erhalten durch ständige, auch mühsame Arbeit diesen Ort, um ihn anderen zugänglich zu machen, um Erfahrungen zu bereiten und eines der vielen Fleckchen auf der Erde zu erhalten, an denen der Mensch die Natur noch mitgestaltet.

Jede Jahreszeit, jeder Monat, jede Woche hat ihre Besonderheit und ihre bedeutenden Tätigkeiten, wenn man mit der Natur zusammenarbeitet.

Wird es im Winter langsam kalt und weihnachtlich, basteln wir aus unserem Getreide Strohsterne und zieren unsere Fenster.

Wenn im Februar die Weiden kahl sind, schneiden wir sie mit den Kindern und flechten einen Korb, an einem ganzen Tag auch mit Erwachsenen. Steht im Juni das Gras hoch, mähen wir es mit dem Sensenkurs und verarbeiten es über mehrere Tage zu unserem eigenen Heu.

Abends schwinge ich mich wieder auf mein Fahrrad und fahre, ohne zu bremsen, den Schotterweg hinunter auf die Littenweilerstraße, zurück in das wuselige Stadtleben Freiburgs.

Was ich erlebt habe an diesem einzigartigen Tag auf dem Kunzenhof wird mich noch darüber hinaus bereichern, erfüllen und zum Nachdenken anregen.

Im Zuge meines Freiwilligen Ökologischen Jahres (FÖJ), das ich von September 2017 bis August 2018 auf dem Lernort Kunzenhof verbringen durfte, erlebte ich unsere Welt neu.

Ich kam ganz eng in Kontakt mit dem, was uns immer umgeben wird, was wir schon fast vergessen haben: Die Natur und unser Platz in ihr.

Anna Friedmann

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